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Die ÖDP Ludwigsburg veröffentlicht die bemerkenswerte Haushaltsrede des parteilosen Kreisrats Andreas Schönberger

Haushaltsrede im Kreistag Ludwigsburg am 06.12.2019. Redner: Kreisrat Andreas Schönberger, parteilos, es gilt das gesprochene Wort.

Andreas Schönberger

Haushaltsrede im Kreistag Ludwigsburg am 06.12.2019.
Redner: Kreisrat Andreas Schönberger, parteilos, es gilt das gesprochene Wort.
 
Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Haas,
sehr geehrte Frau Beck,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
 
Demokratie ist manchmal anstrengend.
Ich werde Ihre kostbare Zeit jedoch nicht übermäßig in Anspruch nehmen. Ich werde versuchen,
mich an den Rat zu halten, den man früher auf Telefonzellen lesen konnte: „Fasse Dich kurz!“
Erlauben Sie mir also, mich auf ein paar Punkte zu beschränken.
Wir beraten und verabschieden heute den Haushaltsplan 2020.
Mit einer stabil bleibenden Kreisumlage mit einem Hebesatz von 27,5 % wird uns voraussichtlich
effektiv mehr Kreisumlage zur Verfügung stehen, nämlich fast 244 Mio. Euro gegenüber zuletzt
231 Mio. Euro. Andererseits werden die Städte und Gemeinden weiterhin in wichtige Bereiche
wie Bildung und Kinderbetreuung investieren können.
Lassen Sie mich in groben Zügen von der globalen zur kommunalen Situation hier im Landkreis
kommen. Die globale Temperaturerhöhung führt in der Arktis dazu, dass nun zunehmend
Treibhausgase, die bisher im gefrorenen Boden gebunden waren, in die Atmosphäre freigesetzt
werden. Die Arktis ist mithin zu einem Gebiet geworden, in dem mehr Kohlendioxid freigesetzt als
gespeichert wird.
In China und Indien haben sich die Treibhausgasemissionen seit dem Jahr 2000 verdoppelt,
während sie hierzulande nur allmählich zurückgehen.
Die Lage ist sehr ernst. Der Geologe Hans-Ulrich Schmutz empfiehlt mittlerweile, den Begriff
„Klimawandel“ durch den Begriff „Klimabruch“ zu ersetzen, da der Begriff „Wandel“ eher
allmähliche Veränderungen bezeichnet, die sich auch zum Guten wenden können. Wir haben es
heute aber bereits mit einer dramatischen Entwicklung zu tun. Der jetzige, auf menschliche
Aktivität zurückzuführende CO2-Anstieg geschieht um ein Vielfaches schneller als das bei
früheren Klimaveränderungen der Fall war – und hat daher weitreichende Folgen.
Die Ausrufung des Klimanotstandes durch das Europaparlament ist daher nicht etwa einer
Hysterie oder Panik geschuldet sondern sie folgt aus einer nüchternen Analyse der globalen
Entwicklungen.
Wer an den Demonstrationen Fridays for future teilnimmt tut das in der Regel nicht aus Faulheit
oder Übermut, sondern aus Sorge um unser aller Zukunft.
Vor diesem Hintergrund kann man die Übernahme der Geschäftsführung der Ludwigsburger
Energieagentur LEA durch Herrn Laube nur als Glücksfall für unseren Landkreis bezeichnen. Die
Energieagentur entwickelt sich dynamisch und bietet ein umfassendes Service- und
Beratungsangebot sowohl für Kommunen als auch direkt für die Bürgerinnen und Bürger hier im
Kreis. Der LEA kommt auch für die Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes besondere Bedeutung
zu.
Die vorgesehene und vom AUT befürwortete regelmäßige finanzielle Unterstützung in Höhe von
100.000 Euro befürworte ich daher ausdrücklich, ebenso den für Klimaschutzmaßnahmen
vorgesehenen sechsstelligen Betrag.
Ziel deutscher Politik muss es in erster Linie sein, dazu beizutragen, dass in den
Herkunftsländern von Flüchtlingen Fluchtursachen möglichst beseitigt werden. Hier vor Ort ist
unsere Aufgabe in der Kommunalpolitik, dafür zu sorgen, dass Menschen, die zu uns kommen
anständig behandelt werden.
Es kann vorkommen, dass Menschen, die in ihrer Heimat durch Kriegshandlungen traumatisiert
wurden und zu uns gekommen sind, sich selbst verlieren und Dinge tun, die sie sonst nicht getan
hätten. Entscheidend bei der Einschätzung solcher Vorgänge sollte aber nicht die Tatsache sein,
dass es sich um Flüchtlinge handelt, sondern dass es um Menschen geht, die sich selbst
verrannt und verloren haben. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik ist es, solchen
Menschen zu helfen, wieder in einen stabilen seelischen Zustand zu kommen.
Die im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel für refugio stuttgart e.V. für die psychosoziale und
therapeutische Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge in Höhe von 40.000 Euro für das Haushaltsjahr 2020
bitte ich daher zu bewilligen.
 
Meine Damen und Herren,
jedes fünfte Kind in Europa wurde schon einmal Opfer einer Form von sexueller Gewalt.
Verschiedene Forschungsprojekte kommen zu diesem erschreckenden Ergebnis. Die speak-
Studie über sexuelle Gewalt in der Erfahrung Jugendlicher ermittelte sogar einen Anteil von
annähernd 25 %. Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Rörig erklärte bei Gründung des nationalen Rates gegen sexuelle Gewalt an Kindern diese
Woche, dass davon ausgegangen werden muss, dass in jeder Schulklasse Kinder betroffen sind.
Auch die Zahl der in den Fachberatungsstellen begleiteten Kinder und Jugendlichen steigt.
Sexueller Missbrauch ist immer ein Angriff auf das innerste Wesen eines Menschen. Der
betreffende Mensch wird dadurch in seiner Identität und in seiner Existenz angetastet. Die
körperlichen und vor allem die seelischen Verletzungen können so schwerwiegend sein, dass es
infolge des Missbrauchsgeschehens zu suizidalen Handlungen kommen kann.
Mittlerweile ist bekannt geworden, dass es auch in unserem Landkreis – in Korntal und Hoheneck
– in früheren Jahren in Jugendhilfeeinrichtungen zu schwersten Übergriffen auf Kinder
gekommen ist. Wenn ich mit Betroffenen spreche, dann wird immer wieder deutlich, dass diese
Menschen nicht allein unter den Folgen der damaligen Missbrauchshandlungen leiden, sondern
dass sie auch die Art und Weise, wie sie teilweise auch heute noch (von kirchlichen und
staatlichen Stellen) behandelt werden oft als herablassend, demütigend, ausgrenzend
wahrnehmen. Dass Menschen, die als Kinder Übergriffe erleiden mussten nun auch heute – etwa
im Rahmen der Aufarbeitung – neuer Schmerz zugefügt wird, ist ein unhaltbarer Zustand, der –
etwa durch Einführung standardisierter Verfahren – beendet werden muss.
Ich bin kürzlich gefragt worden, in wessen Auftrag ich denn jetzt im Kreistag reden würde? Ich
dachte bei mir: Ist ein anderer Auftrag als der des Souveräns – der Wähler – nötig? Aber dann
wurde mir bewusst: Im Auftrag solcher Menschen möchte ich gerne sprechen, ihre Anliegen
artikulieren.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt (Artikel 1 GG).
Die Landkreise haben als Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen besonderen Schutzauftrag.
Der Landkreistag ist daher im Juni diesen Jahres dem vom Europarat initiierten Pakt zur
Beendigung der sexuellen Gewalt gegen Kinder beigetreten.
Notwendig sind konkrete Schritte zur Information der Öffentlichkeit, d.h. die erschreckende
Dimension der Übergriffe muss einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Auf der
Homepage des Landkreises sollte die bewusstseinsbildende Kampagne „One in five“ verlinkt
werden. Die Lanzarote-Konvention schlägt ausdrücklich Sensibilisierungskampagnen zur
Aufklärung der Öffentlichkeit vor sowie für die kommunale Ebene die Ernennung einer Person,
die die Öffentlichkeit über die sexuelle Ausbeutung von Kindern aufklärt. Die Eltern müssen
unterstützt werden, mit ihren Kindern in einer kindgerechten Weise über sexuelle Gewalt zu
sprechen.
Die Möglichkeit, sich über ein Nottelefon offenbaren und Hilfe bekommen zu können sollte
baldmöglichst niederschwellig angeboten werden, sowohl auf Ebene der einzelnen Kommunen
als auch auf Landkreisebene. In Notsituationen darf niemand von Pontius zu Pilatus geschickt
werden. Hilfsangebote müssen unkompliziert durch einen Klick auf der Homepage des
Landkreises abrufbar sein.
Im Haushaltsplan 2020 sind Haushaltstitel mit Zuschüssen für die Arbeit der Fachberatungsstelle
gegen sexuelle Gewalt Silberdistel, für den Initiativkreis „Stellwerk - gegen sexualisierte Gewalt
durch Minderjährige“ und für den Kinderschutzbund in insgesamt sechsstelliger Höhe eingestellt
Das ist richtig und wichtig.
Den vielen haupt- und ehrenamtlich in diesen Vereinen Engagierten ein herzliches Dankeschön
für diese hilfreiche Tätigkeit!
Der Landkreis selbst führt Beratungen und Schulungen zum Kinderschutzauftrag durch und hat
das Qualitätsmerkmal Kinderschutz eingeführt. Die verschiedenen Angebote ergänzen sich gut.
Dass wir uns im Jahre 2019 noch immer mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen müssen ist
sehr traurig. Auch hier wird die Würde von Menschen in eklatanter Weise angetastet – was wir
nicht dulden dürfen.
Der baden-württembergische Beauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, hat sich bei
Facebook und Twitter abgemeldet. Hass und Drohungen gegen ihn und seine Familie sind ihm zu viel
geworden.
Das Pädagogisch-Kulturelle Centrum ehemalige Synagoge Freudental engagiert sich für den Dialog
der Religionen und Kulturen, indem es ein persönliches Kennenlernen von Menschen aus
unterschiedlichen religiösen Hintergründen fördert, z.B. in Gesprächsrunden, Jugendaustausch,
Studienfahrten. All dies sind wirksame Mittel gegen Antisemitismus, die zu fördern gerade heute
dringend nötig ist.
Die im Haushaltsplan eingestellten Mittel für die Arbeit des PKC bitte ich daher zu bewilligen.
An dieser Stelle möchte ich auch die erfolgreichen Bemühungen der Stadt Ludwigsburg um einen
interreligiösen Dialog lobend erwähnen. Dieser Dialog führte bereits im Jahre 2009 zur Ludwigsburger
Erklärung der Religionsgemeinschaften, die die Bemühungen des Tübinger Theologen Hans Küng um
ein gemeinsames Weltethos der verschiedenen Religionen und Kulturen sozusagen auf lokaler Ebene
abbildet.
Ein respektvoller Umgang miteinander ist die Basis der politischen Arbeit in Gremien und
überhaupt jeder politischen Kultur. Was mit kleinen Respektlosigkeiten beginnt kann schlimm enden.
Vom demokratischen Souverän - den Bürgerinnen und Bürgern hier im Landkreis – ein politisches
Mandat übertragen zu bekommen ist eine hohe Ehre und Verantwortung. Lassen Sie uns dessen
stets bewusst sein. Übrigens: Artikel 1 – die Sache mit der Würde – gilt auch in der Politik. Lassen Sie
uns darauf Acht geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss möchte ich den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Landratsamtes Dank sagen für die Arbeit des ablaufenden Jahres.
Als neugewählter Kreisrat bin ich von Ihnen, sehr geehrter Herr Landrat sowie von allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landratsamtes stets absolut fair, korrekt und freundlich
behandelt worden. Dafür – und übrigens auch für die stets vorzügliche Bewirtung, möchte ich
mich herzlich bedanken.
Den Mitarbeitern des Finanzdezernats und Ihnen Frau Beck danke ich für die Aufstellung des
Haushaltsplans – und: Hohen Respekt für Ihre Arbeit!
Ihnen allen eine nicht allzu stressige sondern doch auch besinnliche Adventszeit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

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